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Podcast 09| Stress und das autonome Nervensystem

Stress und das autonome Nervensystem


Podcastfolge 09

Das Thema „Stress“ und seine Auswirkungen und Folgen ist in aller Munde. Aber welche Mechanismen liegen dem Phänomen „Stress“ eigentlich zu Grunde?


Unser autonomes Nervensystem

Das autonome bzw. vegetative Nervensystem beeinflusst die Funktion unserer inneren Organe und ist u.a. eng mit dem Herzschlag, der Atmung und unserem Hormonsystem verbunden. Es ist aufgeteilt in Sympathikus und Parasympathikus, der sich nochmal in den dorsalen und ventralen Vagus-Ast aufteilt.


Sympathikus


Der Sympathikus hat sich vor ca. 400 Millionen Jahren gebildet und ist überlebenswichtig und im Allgemeinen für Stresssituationen zuständig. Alles, was mit Aktivität zu tun hat, mit Leistungssteigerung und Anregung, wird von ihm geregelt. Konkret bedeutet das, dass die Muskeln in den Extremitäten im sympathischen Zustand vermehrt durchblutet werden, während Blut aus dem Verdauungstrakt entzogen wird. Zugleich wird in der Leber Glukose freigesetzt, Kortisol wird vermehrt ausgeschüttet, das Herz schlägt schneller, der Blutdruck steigt, die Pupillen erweitern sich etc. Der Körper ist also hochgradig in Anspannung versetzt und bereit davonzulaufen. Das war und ist eine wichtige Funktion, die uns am Leben hält, wenn direkt und unmittelbar Gefahr droht. Das oft zitierte Beispiel des Tigers, der uns angreift und vor dem wir uns möglichst schnell retten müssen, um zu überleben, macht auch hier klar, wie essenziell die Stressfunktionen in unserem Körper eigentlich sind. 

Das Problem entsteht nur mit unserem modernen Lebensstil, bei dem Stress einerseits zum chronischen Phänomen wurde, weil auch Situationen, in denen real keine akute Lebensgefahr besteht, von unserem Gehirn oft als solche wahrgenommen werden. Andererseits reagieren wir auf akuten Stress nicht mehr so, wie es körperlich in uns angelegt ist bzw. haben wir oft nicht die Möglichkeit dazu. Die gedachte Reaktion wäre eben davonzulaufen und die aufgebaute Spannung so durch Bewegung abzubauen. Wenn es aber immer wieder zu Stresssituationen kommt, ob tatsächlich oder „nur“ innerlich wahrgenommen, ohne dass wir die Spannung unmittelbar abbauen können, entsteht chronischer Stress mit all seinen negativen Folgen.

Parasympathikus


Der Parasympathikus ist der Gegenspieler des Sympathikus und als solcher ganz allgemein für Entspannung, Ruhe und Regeneration zuständig. Sämtliche Selbstheilungsprozesse finden im parasympathischen Zustand statt, weshalb es u.a. so wichtig ist, in die Entspannung zu kommen. Aber es ist etwas komplexer, denn der Parasympathikus teilt sich wiederum in zwei Äste, den dorsalen Vagusnerv und den ventralen Vagusnerv, auf. 

Der dorsale Vagusnerv

Der dorsale Vagusnerv ist mit ca. 500 Millionen Jahren der älteste Teil unseres Nervensystems, wurde also noch vor dem Sympathikus gebildet. Seine Funktion ist eine Art „Shutdown“, eine Erstarrung, wenn die Gefahr so groß ist, dass man weder kämpfen noch weglaufen kann. Heute erleben wir diesen Zustand einerseits akut bei wirklich schlimmen, traumatischen Erfahrungen, andererseits aber auch als Nachwirkung von extrem bedrohlich empfundenen Situationen oder langanhaltendem Stress. Eine tiefe Erschöpfung, Antriebslosigkeit, Ratlosigkeit, Erstarrung und Gedankenkreisen sind unter anderem die Auswirkungen. Vor allem auch, wenn wir innerlich in einer Trauma-Schleife feststecken.

Der ventrale Vagusnerv

Der ventrale Vagusnerv wiederum ist der jüngste Teil des Nervensystems (ca. 200 Millionen Jahre alt) und steuert u.a. unsere Gesichtsmuskulatur, soziale Interaktion und sämtliche höheren Funktionen, wie Kreativität, Flow, Neugierde etc., aber auch Zellerneuerung und -entgiftung. Im ventralen Zustand fühlen wir uns geborgen, sicher und entspannt.

Sicherheit

Die Polyvagale Theorie, die von Stephen Porges gegründet wurde, sieht unser Gefühl von Sicherheit als zentrales Element. Laut dieser Theorie scannen wir unsere Umwelt ständig nach potenziellen Gefahren ab (sog. Neurozeption) und je nach empfundener Sicherheit bzw. Gefahr schalten wir in verschiedene Modi (Sympathikus, dorsal vagal oder ventral vagal). Die verschiedenen Teile des autonomen Nervensystems, samt ihres Alters, machen so also Sinn. Der ventrale Vagusnerv, der jüngste Teil, kommt erst dann zum Tragen, wenn wir uns sicher genug fühlen. Erst dann haben wir Zugriff auf unser gesamtes Kompetenzspektrum und unsere Interaktionsmöglichkeiten, unsere Kreativität, Spiel, Freude, Geborgenheit etc.

Umgekehrt können wir auf weniger Gehirnfunktionen zugreifen, je gefährlicher wir eine Situation einschätzen. In einem extremen dorsal vagalem Zustand reagiert zum Beispiel nur noch das Stammhirn. Das Problem ist leider oft auch, dass es zu einer Art negativen Loop kommen kann, indem wir bei Stress und Trauma viel eher dazu geneigt sind, Situationen als negativer und gefährlicher einzuschätzen, als sie tatsächlich sind.

Regulation des Nervensystems

Die gute Nachricht ist, dass es im Gegensatz zum Namen des autonomen Nervensystems, der suggeriert, dass es komplett unabhängig von unserem Willen funktioniert, dennoch wichtige Schnittstellen gibt, über die wir sehr wohl Einfluss auf das autonome Nervensystem nehmen können. Generell müssen wir Menschen, als Kinder erst lernen, wie wir unser Nervensystem regulieren können. Vor allem die zwischenmenschlichen Fähigkeiten, Sozialverhalten und Sicherheitssignale wie Lächeln, Berührung etc. (also Zuständigkeitsbereiche des ventralen Nervensystems) entwickeln sich umso mehr, je mehr sie uns vorgelebt werden und je sicherer unsere Umgebung ist. 

Aber auch im Erwachsenenalter können wir unser Sicherheitsgefühl und somit unsere Regenerations- und Interaktionsfähigkeiten stärken. Einerseits passiv durch Signale aus der Umwelt, zum Beispiel durch eine schöne, ruhige Umgebung, Musik und für uns angenehme Geräusche, liebevolle Menschen etc. Andererseits eher aktiv durch bewusstes Atmen, Summen, Yoga-Asanas und andere Körperübungen etc. 

Selbst die Erinnerung an entspannte Zustände kann uns dabei helfen, in uns das Gefühl von Sicherheit und Entspannung zu stärken.


Quellen: Dab Dana „Anchored. How to befriend your Nervous System using Polyvagal Therory”

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