Essen ist (hoch)emotional
Podcastfolge 15
Wir alle kennen die Situation, dass andere unser Essverhalten kommentieren und wir uns dann von genervt bis furchtbar schlecht fühlen. Umgekehrt bemerken und bewerten wir unser eigenes und gegebenenfalls auch das Essverhalten von anderen wahrscheinlich auch ziemlich oft. Und das, obwohl wir vielleicht wissen, wie ungut und unnötig das ist.
Früheste Prägungen
Essen ist wie kaum etwas mit Liebe und unserer Identität verbunden. Das beginnt schon im Mutterleib und setzt sich dann mit der Körpernähe beim Stillen, dem Gefüttert-Werden etc. fort. Es ist somit etwas Universelles und zugleich etwas sehr Individuelles. Denn jeder Mensch hat diesbezüglich seine ganz eigenen Prägungen, die sich u.a. aus kollektiven, kulturellen, familiären und Umwelt-Faktoren sowie der individuellen Geschichte zusammensetzen. Essen wird so unter anderem auch identitätsstiftend und hängt unmittelbar mit unserem Überleben zusammen. Wir identifizieren uns bewusst oder unbewusst mit gewissen Verhaltensweisen rund ums Thema Essen. Kein Wunder also, dass die Emotionen dabei auch intensiv sind.
Unsicherheiten und emotionale Reaktionen
Das merken wir besonders dann, wenn infrage gestellt wird, was, wie, wann und wie viel wir essen. Plötzlich fühlen wir uns emotional tief getroffen oder sogar angegriffen, weil diese Verhaltensweisen eben Teil unserer Identität sind und uns gerade bei Unsicherheit einen gewissen Halt geben. Im „Dschungel“ der heutigen Welt, die uns vor allem beim Thema Ernährung und damit auch unweigerlich beim Thema Körper, mehr oder weniger alle verunsichert, reagieren wir dann häufig zurecht sehr emotional auf Aussagen, die diese beiden Bereiche betreffen.
Umgekehrt ist das oft auch der Grund, warum andere überhaupt Bemerkungen und Bewertungen aussprechen. Unser Essverhalten löst vielleicht auch Unsicherheiten in anderen aus, weshalb diese dann uns aus einer Art Verteidigungshaltung heraus bewerten. Eine Art Teufelskreis, der nur mit viel Bewusstheit, Selbst-Mitgefühl und Verständnis zu lösen ist.
Gesellschaftliche Erwartungen
Am Beispiel Alkohol lässt sich diese Dynamik sehr gut veranschaulichen. Angenommen man ist in einer Runde und eine Person trinkt als einzige keinen Alkohol. Die anderen fühlen sich dadurch bewusst oder unbewusst verunsichert, weil Alkohol – wie Essen auch – sehr stark gesellschaftlich funktioniert. Um von ihrer eigenen Unsicherheit abzulenken, wird die Person, die keinen Alkohol trinkt, bewertet, befragt oder es wird sich über sie lustig gemacht. Je nachdem, wie sicher die Person, die keinen Alkohol trinkt, in ihrer Entscheidung ist, fühlt sie sich stark angegriffen oder irritiert etc. Oder sie bewertet wiederum umgekehrt diejenigen, die Alkohol trinken.
Sämtliche Reaktionen gehen aber am Wesentlichen vorbei: Die darunterliegende Unsicherheit mit all den Identifizierungen und Werten, die mitschwingen, wird selten angesprochen. Obwohl sich im Grunde alle ähnlich fühlen.
Das gleiche Szenario könnte ganz unkompliziert ablaufen, wenn sich alle Beteiligten in ihrem jeweiligen Verhalten wirklich sicher fühlen und sich somit nicht durch die Entscheidungen der anderen verunsichert fühlen.
Verständnis für sich selbst und andere
Um in diesen unangenehmen Situationen ruhig und gefasst zu bleiben, braucht es zuerst vor allem Mitgefühl und Verständnis für sich selbst. Was, wenn ich gut und richtig bin, so wie ich bin? Was, wenn ich die Bestätigung von anderen nicht brauche, weil ich in Kontakt mit mir selbst weiß, was für mich und meinen Körper die beste Entscheidung ist? Was, wenn ich gelernt habe, meinem Körper zu vertrauen und ich eine gute, gesunde Beziehung zum Essen und zu meinem Körper habe? Dann kann ich zwar immer noch sagen, wenn mich Kommentare von anderen stören, ich fühl mich aber nicht mehr so stark verletzt oder gekränkt, dass ich alles an mir infrage stelle.
Wenn ich mir selbst das nötige Verständnis und Mitgefühl entgegenbringen kann, fällt es auch leichter, die Situationen von anderen zu verstehen und Dinge, die gesagt werden, nicht mehr persönlich zu nehmen. Denn in den allermeisten Fällen haben Aussagen von anderen mehr mit ihnen selbst zu tun als mit uns. Nur, weil jemand etwas über uns sagt, müssen wir das nicht als wahr anerkennen. Wir können es mit etwas Übung auch „beim anderen lassen“. Zugleich können wir hinspüren, was es in uns auslöst und dort ansetzen, um zu erkennen, was wir brauchen, um die beschriebene Sicherheit (wieder) zu fühlen.
Quellen: Dab Dana „Anchored. How to befriend your Nervous System using Polyvagal Therory”
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